Im Auto-mat: Die Heilsversprechen selbstfahrender Autos auf dem Prüfstand

Vom Raum- zum Rumfahren

Mit Beginn des Apollo-Programms in den frühen 60er Jahren verfolgt die internationale Raumfahrt zweierlei Entwicklungsstrategien: Einerseits setzt sie auf bemannte Flüge ins All, auf den Mond und allenfalls auf noch fernere Planeten, weil hier menschliches Handeln vor Ort und im Einzelfall gefragt ist. Oder sie macht es, um zu zeigen, dass es eben machbar ist, Menschen ins All zu bringen. Andererseits setzt sie auf unbemannte Reisen ins All, denn damit lassen sich zu geringeren Kosten weiter entfernte Ziele erreichen. Der Mensch am Schaltpult einer Raumfähre ist aus Sicht der unbemannten Raumfahrt ein Kosten- und Risikofaktor, der minimierbar und letztlich durch ein autonom steuerndes bzw. von der Erde aus gelenktes System substituierbar ist. Nach dem Vorbild der unbemannten Raumfahrt, so entsteht gelegentlich der Anschein, diskutiert die Verkehrswelt heute die Chancen und Risiken der „unbemannten“ Autofahrt – befreit von den ökonomischen, sozialen und ökologischen Kosten eines von Menschhand gelenkten Automobils. 

Seit 2014 erstmalig das Google-Car im Strassenraum Kaliforniens auftauchte, reisst der Hype um das zwar nicht unbemannte aber lenkerlose „autonome“ Fahrzeug nicht mehr ab und die Zunft der Verkehrsexperten spekuliert losgelöst von heutigen politischen, wirtschaftlichen, juristischen, und technischen Grenzen über die transformatorische Kraft derartiger Automaten. Auch wenn das Auto als „ultimatives mobiles Endgerät“ mittlerweile so vernetzt ist, dass es technisch durchaus machbar erscheint, es ohne Lenker oder Lenkerin nicht nur auf einem kalifornischen Highway, sondern scheinbar auch in der hochkomplexen Verkehrswelt einer jeden Stadt fahren zu lassen, heisst das noch lange nicht, dass damit nun die Debatten beendet sind und wir in den kommenden Jahren mit der weltweiten Markteinführung dieses „Titans“, wie das vollautomatische Auto bei Apple heisst, rechnen dürfen. Vielmehr beginnen sie hier erst jetzt – und das zu Recht. Denn jenseits einer technischen Machbarkeit, die morgen schon zur technischen Alltäglichkeit werden könnte, induziert das sogenannte autonome Auto eine Vielzahl von Fragen, die weit über die Funktionsweise der neuen Technik hinausgehen.

Das Auto als Transformator

Die technischen und sozialen Innovationen im Verkehrssektor der letzten zehn Jahre – von der Elektrifizierung des automobilen Antriebsstrangs („eMobility“), über den Einzug einer globalen Share Economy in den MIV („shared mobility“) bis hin zu einer umfassenden Informatisierung nahezu sämtlicher Verkehrsabläufe („Mobility 4.0“) - lassen bereits heute einen tiefgreifenden Wandel das Gesamtmobilitätssystems in den Industrienationen erkennen. Im Zentrum dieses Transformationsprozesses steht erneut das Automobil selber, als Dreh- und Angelpunkt einer modernen Güter- und Personenmobilität.

Dieses Automobil, eingesetzt als Personen- oder Gütertransportmittel, verändert sich nun grundlegend und wird zunehmend zu einem gänzlich neuen dekarbonisierten, deprivatisierten und digitalisierten Mobilitätswerkzeug, das sowohl die etablierten Geschäftsmodelle der heutigen Transportbranche als auch die bestehenden ordnungspolitischen Rahmenbedingungen im Verkehr tiefgreifend verändert. Allen voran der Einzug von grossen ICT-Unternehmen und Internet-Konzernen, aber auch der von kapitalstarken Start-Ups ausgelöste Veränderungsdruck, stellen den klassischen MIV und ÖV heute gleichermassen vor neue Herausforderungen. Es sind diese Treiber auf dem neuen Mobilitätsmarkt, die mit ihren disruptiven Technologien nicht nur alternative Nutzungsmodelle ermöglichen, sondern das herkömmliche Motorfahrzeug auch gleich gänzlich neu erfinden. War das Auto oder der Lastwagen in der Vergangenheit noch Teil eines stark dezentralisierten gross-technischen Systems, an dessen „Man-Machine-Interface“ noch eine Lenkerin oder ein Lenker sass und in das System durch eine Vielzahl persönlicher Entscheidungen und individueller Handlungen folgenreich eingriff, so erscheint das morgige Automobil als ein halb- oder vollautomatischer „Travel-Pod“, der sich robotisch, d.h. lenkerlos, durch den Alltagsverkehr bewegt.

Es vergeht also kaum noch ein Tag, an dem nicht über das fahrerlose Google-Car, sein Pendant bei Apple (an dem angeblich 1000 Ingenieure arbeiten sollen), den ersten autonom fahrenden Mercedes-LKW auf bundesdeutschen Autobahnen, das „selbststeuernden Swisscom-Auto“ oder das erste „chauffeurlose Postauto“, das 2016 im Wallis versuchsweise unterwegs ist, zu lesen ist. Gleichsam mit diesen Meldungen werden die Erwartungshorizonte geweckt: Mit dem Google/Apple-Car muss niemand mehr im Verkehr sterben, weil niemand mehr selbstlenkend rasen kann; Autos kommen, per „App“, angefordert von unseren Kindern, die sie dann auch mit einem „Tip“ auf dem Head-Up-Display starten; autonome Apple-Autos fahren 23 Stunden, anstatt zu stehen und machen so Platz für mehr Velobahnen in den Städten; fahrerlose LKWs entlasten die verstopften Nationalstrassen und gleichsam auch den Güterverkehr auf der Schiene; nahezu 90 Prozent aller privaten Fahrzeuge können durch autonome Fahrzeuge ersetzt werden und ein autonomes Auto ersetzt gut drei Dutzend herkömmliche, so zumindest die ersten Spekulationen aus den einschlägigen Foren im World Wide Web.

Um derartige Prognosen und Behauptungen nun im folgenden Text eingehender zu betrachten, werden hier die vermeintlichen „Heilsversprechen“ des selbstfahrenden Autos in einem ersten Schritt zu drei Hauptsätzen einer automatisierten Mobilität zusammengefasst:

  1. Das vollautomatische Auto kombiniert die technischen und wirtschaftlichen Grundlagen des ICT- und Automobilsektors und liefert als Basisinnovation die Grundlage für die Entstehung eines neuen verkehrsindustriellen Zeitalters. 
  2. Das vollautomatische Auto entkoppelt die Fahrzeugnutzung vom privaten Fahrzeugbesitz und schafft eine neue Kultur der Automobilität. 
  3. Das vollautomatische Auto ermöglicht als elektrisch angetriebenes, kollaborativ genutztes und ferngesteuertes Fahrzeug zumindest eine Effizienzsteigerung im rollenden und ruhenden Automobilverkehr.

Mit der Bezeichnung „vollautomatisches Auto“ wird in diesen drei Hauptsätzen auf ein Fahrzeug verwiesen, welches sich sowohl in technischer, ökonomischer, sozio-kultureller und ordnungspolitischer Hinsicht vom herkömmlichen „teilautomatischen“ Personenwagen in Privatbesitz unterscheidet. Im vollautomatischen Auto entfallen dank der Robotisierung technische Artefakte, wie das Lenkrad, rechtliche Zugangsvoraussetzungen wie die Fahrerlaubnis oder eine private Motorfahrzeug- bzw. Haftpflichtversicherung und letztlich auch der Privatbesitz selber. Der mobile Vollautomat benötigt kein Volant und seine Passagiere keinen Führerschein; er läuft ohne Fahrerhaftung und typischerweise im Flottenbetrieb.

Tesla-Fighter, Google-Car und Uber-App: Der 1. Hauptsatz der automatisierten Automobilität

„Das vollautomatische Auto kombiniert die technischen und wirtschaftlichen Grundlagen des ICT- und Automobilsektors und liefert als Basisinnovation die Grundlage für die Entstehung eines neuen verkehrsindustriellen Zeitalters.“

Im Jahre 2008, auf dem Höhepunkt der letzten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, verliess das erste Fahrzeug einer neuen Kleinserienproduktion eines neuen Automobilherstellers mit einem neuen, aber gleichwohl altbekannten Antrieb seine Produktionshallen in Palo Alto. Keine zehn Jahre später wird diese Ikone schon nicht mehr produziert; nicht, weil ihr neuer, altbekannter Antrieb am automobilen Zeitgeist vorbei fuhr, sondern weil sie mittlerweile von zwei elektrischen Grosserienfahrzeugen aus dem gleichen Hause ersetzt wurde und deren Erbauer damit etwas geschafft hat, was in der Automobilindustrie als unmöglich galt – nämlich innert kürzester Zeit, mit einem rein elektrisch angetriebenen Automobil die CEOs der grossen OEMs zu einer neuen Wortschöpfung zu zwingen: „Tesla-Fighter“!

Der Tesla-Fighter ist mittlerweile nicht nur zum Sammelbegriff für elektrische Premiumfahrzeuge, vornehmlich aus deutscher Produktion, geworden, sondern gleichsam 3 zum Sinnbild einer Branche, die nun „den Change“ schaffen muss – idealerweise noch „by design“ und nicht „by disaster“. Elon Musk schuf mit Tesla den Kristallisationskern eines neuen automobilen Zeitalters, in dem nicht nur fossile Automagnaten wie Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch bereits ihren Posten räumen mussten, sondern die globale Autoindustrie mit ihrer Pfadabhängigkeit gegenüber dem Verbrennungsmotor sich gänzlich neu erfinden muss – zum Beispiel indem sie wie Porsche eine „Mission E“ ausruft und versucht, ihre zahlungsstrake aber auch zunehmend umweltsensible Klientel bei der Stange und in den Boliden aus Zuffenhausen zu halten.

Doch kaum hat sich die Verbrennungsmotorprominenz auf den anstehenden Systemwechsel eingelassen und für sich das Steckerfahrzeug entdeckt, steht die nächste Transformation ins Haus. Dieses Mal zwar nicht aus Palo Alto, sondern, ganz in der Nähe, aus Mountain View.

In Mountain View sitzt Larry Page mit Google – und Google bringt jetzt Autos auf die Strassen Kaliforniens, die nicht nur elektrisch, sondern zudem noch lenkerlos fahren. Nur dank der Algorithmen der einstigen Suchmaschine findet das Google-Car des möglichen neuen Autoflottenbetreibers Google seinen Weg von A nach B. Ganz klar, für Google liegen keine grossen Welten zwischen dem Suchen und Finden von Wörtern und Bildern im Web und dem Lokalisieren von Fahrzeugen und Fahrtzielen. Und dann wäre da natürlich auch noch ein weiterer Nachbar, Tim Cook mit Apple in Cuppertino. Und auch dieser Titan der Weltwirtschaft will nun mit einem neuen „ultimativen Endgerät“ in der Mobilität 4.0 zu einem bedeutenden Player werden.

Ein weiterer, neuer Nachbar aus der San Francisco Bay ist dort schon angekommen und zwar so schnell, wie kaum ein anderer vor ihm. Travis Kalanick aus Oakland liefert seit ein paar Jahren mit der Uber-App den „Missing Link“ für das neue elektrisch angetriebene und kollaborativ genutze e/ko-Mobil. Dank ihm findet der künftig von Elon Musk gebaute und von Larry Page ferngelenkte Wagen seine Kunden – auch ohne den heute noch eigenhändig steuernden Uber-Fahrer. Nichts würde Travis wahrscheinlich so sehr freuen, wie wenn er künftig dank seiner „Buddies“ Larry und Tim auf den Fahrer oder die Fahrerin verzichten könnte, sind es doch die mit ihrer Indienststellung verbundenen ordnungspolitischen und arbeitsrechtlichen Regularien, die Uber in vielen Ländern heute nach wie vor so grosse Mühe bereiten.

Und dann wäre da noch das ostschweizerische Sennwald, das auf der Karte der künftigen Autowelt auftaucht, denn hier entsteht heute jenes Artefakt, ohne das die Vision von einer unbemannten Automobilität zur Spinnerei verkäme. Denn erst mit dem „Ding aus Sennwald“ wird der Google-Apple-Uber-Tesla zum dem ubiquitären Agglomerationsverkehrsmittel, das per „Klick“ zu mir nach zu Hause kommt, sich samt meiner Kinder mit einem „Ping“ verabschiedet und mir per „MMS-Beweisfoto“ bestätigt, das diese auch tatsächlich die Schulpforte passiert haben. All das kann das elektrische Google-Mobil nämlich nur, weil es zuvor irgendwo ganz alleine und ohne menschliches Zutun auf einem Induktionslader von der Brusa Elektronik AG aus Sennwald seine Batterien wieder aufgeladen hat. Letztlich ist es Josef Brusa zu verdanken, dass Elon Musk, Larry Page und Travis Kalanick uns morgen ihr selbststeuerndes e/ko-Mobil vor die Haustür bringen werden, denn wer vollautomatisch fahren will, muss auch vollautomatisch Energie nachführen können. Mit Diesel oder Benzin nach heutigem Kenntnisstand ein „No-Go“.

Jenseits dieser neuen Verflechtungen und Innovationströmungen zwischen der kalifornischen Pazifikküste und dem Ostschweizer Grenzgebiet, treten rund um das vollautomatische Fahrzeug noch weitere industrielle Verwirbelungen im Windkanal der Autotransformationen auf. Hängt heute beispielsweise in Deutschland noch jeder siebte Arbeitsplatz vom Auto ab und reicht die automobile Wertschöpfungskette vom globalen Erdölkonzern bis zur Fahrschule in der Nachbarschaft, so mögen es morgen deutlich weniger sein. Oder vielleicht auch mehr. Je nach dem, was dann noch als Automobil gilt bzw. zur Automobilwirtschaft hinzugerechnet wird. Wo ist der Arbeitsplatz in der Waschanlage im ostfriesischen Leer, in dem der von der Bahn-Tochter Flinkster in Kooperation mit Uber betriebene selbstfahrende eUp gewaschen und gereinigt wird, anzusiedeln? Im ICT-Sektor, beim öffentlichen Verkehr, in der Automobilwirtschaft?

Wahrscheinlich noch deutlich spannender als diese Frage, sind jene nach der Zukunft von Fahrlehrern im Zeitalter des aussterbenden Selbstlenkers, oder nach den Perspektiven von Versicherungsmaklern im Zeichen eines überlebten privaten Autobesitzes. Wie sehen künftig die Aus-, Ein- und Zufahrtsstrassen grösserer und kleinerer Städte aus, die heute noch dank der zahllosen Autohäuser, Reifenhändler, Tankstellen, Tuning-Paläste und weiterer Auto-Tempel einer automobilen Partymeile gleichen? Welches Artefakt stiftet der morgigen Landjugend noch einen Sinn und schweisst sie in Gruppen zusammen, wenn es nicht mehr das „Home-Tuning“ des eigenen Subaru ist? Oder reicht die Strahlkraft und die Fahrenergie des rollenden Vollautomaten gar nicht bis in dieses automobile „Heartland“?

Unabhängig von der Beantwortung dieser Fragen und dem Stellen weiterer, lassen die Erfindungen, Geschäftsmodelle und Marketing- und Vertriebsstrategien der oben porträtieren Apologeten des neuen Autos erahnen, wie gross die Disruptionen sein werden, welche die globale Verkehrsindustrie – vom privaten Individualverkehr bis hin zum öffentlichen Kollektivverkehr – zu erwarten hat. Schon heute zeigt sich, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit die Entstehung eines neuen globalen mobilitätsindustriellen Komplexes von statten geht. In dieser neuen Auto-Bahn-Bus-Welt wachsen virtuelle und reale Produktions-, Distributions- und Konsumptionsregimes derart schnell zusammen, dass sich die Wertschöpfungsketten und Konsummuster der Mobilität kaum mehr so langsam verändern wie in den vergangenen Jahrzehnten, sondern in nur einer Dekade vollumfänglich neu gestalten und ausrichten.

Vom privaten teilautomatischen zum vollautomatischen Auto in der Flotte Der 2. Hauptsatz der automatisierten Mobilität

„Das vollautomatische Auto entkoppelt die Fahrzeugnutzung vom privaten Fahrzeugbesitz und schafft eine neue Kultur der Automobilität.“

Das vollautomatische Auto ist ein Flottenfahrzeug. Es hat einen Betreiber, nicht aber einen privaten Besitzer wie allenfalls noch das teilautomatische Auto. Vollautomatisierung ist in erster Linie eng mit einer neuen automobilen Besitzkultur verbunden. Teilautomatisierung hingegen nicht.

Beim teilautomatischen Auto, welches, auf unterschiedlichen Strassentypen oder in bestimmten Teilräumen, den Lenker von der Steuerung befreit, bleibt kulturell letztlich alles beim alten. Das teilautomatische Auto ist und bleibt in den meisten Fällen ein Privatauto. Es bricht in keinster Weise mit der tradierten Autokultur und der Geschichte automobiler Entwicklungspfade, weder in technischer noch in ökonomischer Hinsicht. Allenfalls sind gewisse regulatorische Anpassungen erforderlich, beispielsweise im Kontext des Wiener Abkommens, das bis dato die Hände des Lenkers noch zu jeder Zeit am Lenkrad sieht.

Die Teilautomatisierung des herkömmlichen Autos durch Fahrassistenzsysteme, welche die diversen Tätigkeiten des Fahrers ergänzen, erleichtern, oder substituieren ist letztlich nur ein Stabilisator des Systems Automobil, dessen Fortbestand durch die eigene Selbsterhaltungskraft garantiert ist, d.h. durch seine ausserordentliche Fähigkeit, sich stets neu zu erfinden. Dabei schöpft es seine Selbsterhaltungsraft auch aus den Gefahren für Mensch und Natur, welche aus seinen nicht-intendierten Konsequenzen erwachsen. Anstatt die Grundlagen seiner gesellschaftlichen Reproduktion durch die Nichtbeachtung der kritischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Fragen, die aus seiner Nutzung erwachsen, zu gefährden, reagiert es stets aufs Neue mit technischen, sozialen und regulatorischen Innovationen auf die ihm entgegengebrachte Kritik. Egal ob Lärm- oder Luftbelastung, Treibhausgasemissionen, Unfallgefahren, steigende Investitions- und Betriebskosten für die Infrastrukturbereitstellung oder Kapazitätsprobleme in Agglomerationsräumen: Das System reagiert mit leiseren und schadstoffärmeren Antrieben, sinkenden CO2-Grenzwerten, Sicherheitsprogrammen, neuen Verkehrsfinanzierungsmodellen oder Nutzungsinnovationen auf seine selbstproduzierten Risiken. Das Ende eines bestehenden Automobilitätsparadigmas ist so zugleich der Beginn einer weiteren Re-automobilisierung, welche aus der vermeintlichen Risikotechnologie „Personenwagen“ wiederum eine zukunftsfähige Mobilitätslösung werden lässt. Die ökologische Kritik am Auto wurde so zum Nährboden für seine Wiedergeburt – zum Beispiel als Elektroauto!

Auch die zunehmende Teilautomatisierung des Automobils, die in erster Linie eine Teilautomatisierung des Autofahrens ist, ist Ausdruck dieser Neuerfindung und Selbsterhaltungskraft und muss als weitere automobile Modernisierungswelle interpretiert werden. Doch dieses Mal ist es weniger die ökologische Kritik am Auto, die es in eine Rosskur treibt. Ebenso wenig entspringt die Hauptenergie der Erneuerung qua Teilautomatisierung dem Versprechen, durch aktive Sicherheits- und Fahrassistenzsysteme, die den Fahrer entlasten, bei der Verkehrssicherheit zu punkten.

Am Ursprung der Teilautomatisierung steht vielmehr die Hoffnung eine der letzten Grenzen der klassischen Autonutzung zu schleifen – nämlich die Inaktivität und Unproduktivität des Autofahrens. Im Teilautomaten soll so aus passiver Fahrzeit, in der bislang ausser Gesprächen mit den Beifahrern, Radiohören oder Telefonieren über die Freisprechanlage kaum andere Tätigkeiten neben dem Lenken möglich waren, aktive Reisezeit werden. Dank Adaptive-Cruise-Control und Lane-Departure-Warning greifen die Hände auf der Autobahn nicht mehr das Volant, sondern kommen die Finger beim Tippen der SMS zum Einsatz. Ein derartiger Technikeinsatz macht das Autofahren insgesamt attraktiver und wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Arten der Fortbewegung, ändert aber nichts Grundlegendes an den herkömmlichen Nutzungsmustern und Besitzverhältnissen in der Welt des Automobils. Er öffnet lediglich das Tor für die Vielzahl von Online-Diensten, die bislang beim Fahren aussen vor blieben.

Obgleich sich mit dem Einzug des Internets ins teilautomatisierte Fahrzeug kein fundamentaler Umbau des Autosystems ergibt, beobachten die unterschiedlichen autonahen Branchen diesen Prozess doch mit steigender Spannung, bietet er doch umfassende Potenziale, bestehende Produkte und Geschäftsmodelle von Autoherstellern, Versicherungsunternehmen, Online-Diensten und Automobilclubs zu verbessern und zu verknüpfen. Das „connected car“ wird so gleichsam zu einer neuen reich gefütterten Datenbank und kundennahen Vertriebsplattform für ganz unterschiedliche Betriebshilfen – von Navigations- und Verkehrsinformationsdiensten, über fahrprofilbasierte Versicherungspolicen bis hin zu over-the-air-Updates und Frühwarnsystemen im Falle von Fehlfunktionen. Dass angesichts dieser neuen Datenfülle die unterschiedlichen Akteure dann auch über deren Verfügbarkeit („my car, my data“) in Disput geraten, erscheint nicht sonderlich verwunderlich.

Während also die Teilautomatisierung einem klassischen automobilen Modernisierungsansatz gleich kommt, ist die Vollautomatisierung hingegen Ausdruck eines grundsätzlichen Strukturwandels und umfänglichen Systemwechsels. Das teilautomatische Auto im Privatbesitz wird in einer Mobilitätswelt 4.0 durch das vollautomatische Auto im Flottenbetrieb ersetzt, denn ab dem Zeitpunkt, wenn innerhalb von ein paar Minuten nach der Online-Order ein fahrerloses Taxi vor der Tür auf uns wartet, zerfallen die ursprünglichen Gründe für den privaten Fahrzeugbesitz – ständige Verfügbarkeit, spontaner Zugriff, Befreiung von den Taktfahrplänen des öffentlichen Verkehrs, kurzum: Freiheit.

Das vollautomatische Auto des Flottenbetreibers bietet sicher all das, was zuvor der teilautomatisierte Privatwagen bot – und noch viel mehr. Es befreit den Nutzer von der Last des Erwerbs einer Fahrerlaubnis, dem Abschluss diverser Versicherungen, der Wartung und Pflege und sonstigen automobilen Reproduktionsarbeiten, die Zeit in Anspruch nehmen, welche der Nutzer in der Multioptionsgesellschaft eigentlich tausendfach anders hätten einsetzen können – nicht mal mehr kaufen muss man es. Natürlich sind das auch schon heute die guten Gründe für die Abschaffung des Privatwagens und die Nutzung von Taxis und geteilten Autos. Doch angesichts der Qualität und Verlässlichkeit des Taxigewerbes und den Planungsaufwänden beim klassischen Car-Sharing, verlieren diese guten Gründe schnell an Gewicht. Erst der Vollautomat wird halten, was er verspricht und uns den Eintritt ins nächste „Level“ automobiler Freisetzung ermöglichen – Autonutzung befreit vom Autobesitz.

Eine Suffizienzlimousine? Der 3. Hauptsatz der automatisierten Mobilität

„Das vollautomatische Auto ermöglicht als elektrisch angetriebenes, kollaborativ genutztes und ferngesteuertes Fahrzeug zumindest eine Effizienzsteigerung im rollenden und ruhenden Automobilverkehr.“

Jenseits seiner Funktion als Projektionsfläche für die mit einer neuen verkehrsindustriellen Wachstumsphase verbundenen ökonomischen Erwartungen („Green Growth“), gilt das vollautomatisierte Auto zunehmend auch als Hoffnungsträger eines ökologisch nachhaltigeren Verkehrs. Ein Vollautomat, so die ersten Hochrechnungen einiger Strategieberater und Forschungseinrichtungen, ersetzt in Anlehnung an das Substitutionspotenzial des klassischen Car-Sharings gleich einige Dutzend herkömmlicher Privatfahrzeuge und reduziert den Flächenbedarf für den ruhenden Verkehr um 50, 70 oder 90 Prozent – in Abhängigkeit der den jeweiligen Modellrechnungen zugrunde gelegten Annahmen. Hinzu kommen all jene Umweltvorteile, die typischerweise dem elektrischen Antrieb zugewiesen werden – von der Erhöhung der Energieeffizienz, über die Reduktion der Lärm- und Schadstoffemissionen bis hin zur gänzlichen Vermeidung des Kohlendioxidausstosses im Betrieb. Ganz oben auf der Liste der Heilsversprechen steht dann natürlich noch das Unfallpräventionspotenzial des automatischen Fahrens und damit der Beitrag für mehr soziale Nachhaltigkeit im Verkehrssektor. Hier hilft der Vollautomat indem er die drei Hauptursachen von Unfällen mit Todesfolge gleichsam auf einen Schlag abschafft, denn weder die Einhaltung von Geschwindigkeitslimiten noch von Blutalkoholgrenzen stellen ein Problem dar – und ohne dass beim Passagier der Gurt geklickt hat, wird sich der ferngesteuerte Wagen kaum in Bewegung setzen.

Eine automatisierte Personen- und Gütermobilität birgt angesichts dieser auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbaren Wirkungsversprechen ein enormes soziales, ökonomisches und ökologisches Nachhaltigkeitspotenzial. Nicht nur verspricht die neue Ökonomie des automatischen Fahrens massive Effizienzgewinne gegenüber dem herkömmlichen motorisierten Individualverkehr, sie lässt zudem auch noch Raum für neue Suffizienzvisionen in der Produktion von Alltagsmobilität. Wenn wir künftig mit deutlich weniger Fahrzeugen, die aufgrund des professionellen (weil computergesteuerten) Umgangs auch noch langlebiger sind, genauso alltagsmobil sind wie heute, dann wird aus einem immer effizienteren Auto gar auch ein suffizienteres.

Inwieweit sich diese Hoffnungen tatsächlich erfüllen werden, entscheidet wohl das Ausmass der Rebound-Effekte eines ubiquitären, allzeit bereiten, öffentlichen Vollautomaten. Auf dem neuen Markt der robotischen, öffentlichen Automobilität werden die Anbieter nicht mit Ideen sparen, wie sie an möglichst viele Kunden und deren kostbare Fahrprofile kommen können. Im mobilen Verkaufsraum auf vier Rädern dürfen wir als Fahrgast sicherlich mit reichlich Verlockungen rechnen, und das wahrscheinlich auch bei sinkenden Fahrpreisen. Gerade im „Off-Peak“ werden so manche „Incentives“ auf die neuen „Choice-Rider“ warten, welche Mobilität zu Top-Preisen verkaufen. Manch einer wird dann den Autositz dem heimischen Sofa vorziehen und sich einfach mal etwas durch den realen Raum kutschieren lassen, anstatt daheim im virtuellen Raum zu surfen.

Diese angebotsinduzierten Raumfahrten mit dem Vollautomaten gehören eben dann zu jenen Nebenfolgen der automatisierten Mobilität, die aus dem Suffizienzversprechen letztlich doch nur wieder ein Worthülse werden lassen könnten und den möglichen ökologischen Nutzen von vornherein in Risiken verwandelt.

Fazit: Der Raumgleiter

Der diesen kurzen Artikel einleitende Vergleich zwischen der un-/bemannten Raumfahrt und der automatisierten Mobilität hinkt natürlich. Zwar stehen beide Mobilitätswelten – die alltägliche und die extreme – derzeit vor grossen Transformationen. Neue Akteure, andere Raumfahrzeuge und eine zunehmende Robotisierung verändern Strasse und All gleichermassen. Im All jedoch finden wir Platzverhältnisse vor, von denen wir im Strassenverkehr nur träumen können. Auch mit Sicherheitsfragen geht man bei der NASA anders um als in den Strassenverkehrsämtern. Menschliches Versagen ist im Orbit nur selten der Grund für Unfälle, es sein denn, man führt technische Mängel auf die Fehler der Konstrukteure und Programmierer zurück und macht sie allenfalls haftbar für den Schaden.

Und damit wären wir bereits wieder im neuen ordnungspolitischen Dickicht der vollautomatisierten Mobilität. Haftungs- und Versicherungsfragen sind aber nur ein Aspekt der kolossalen Neuordnung des Strassenwesens und der Alltagsmobilität, die wir mit dem Einzug selbstlenkender Raumgleiter in den Strassenverkehr erwarten dürfen. In dem Masse, wie der Vollautomat zum Kristallisationskern eines neuen Alltagsmobilitätsparadigmas wird, hebt es die alten Grenzen zwischen privater Individualmobilität und öffentlicher Kollektivmobilität auf und stellt die Existenz etablierter Branchen und Industrien, von den Fahrschulen bis hin zu den Autoversicherern, in Frage.

Auch wenn die automatisierte Mobilität zahlreiche Player in verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen neu positioniert oder eben auch des Feldes verweist, ändert sie nichts am menschlichen Grundbedürfniss nach Mobilität. Das Motiv der Automobilität ist der Wunsch nach Freiheit. Das Auto erweitert unseren alltäglichen Aktionsraum und macht uns unabhängig von den Taktfahrplänen kollektiver Verkehrsangebote. Es erleichtert seinen Nutzern die soziale Teilhabe in einer hochmobilen Welt, in der Mobilität zur Grundvoraussetzung für materiellen Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung geworden ist. Mit dem Vollautomaten soll nun genau das noch leichter werden.

Vor dem Hintergrund eines derartigen (Heils)versprechens erscheint dann auch nicht verwunderlich, dass das vollautomatische Auto oft und gerne in den Rang eines „automomen Autos“ erhoben wird. Doch es ist alles andere als autonom. Denn auch im Falle des neuen Autos gibt es keine Freisetzung ohne Festsetzung, keine Desintegration ohne Integration. Aus der vermeintlichen Freiheit am Volant wird die neue Unfreiheit in der Cloud. Wenn aus Lenkern, Gelenkte und aus Fahrern Surfer werden sind wir endlich angekommen in der neuen Welt der automatisierten Automobilität – im Auto-Auto.

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