Die Mobilität der Zukunft

Datum: 25.03.2021

Themenbeilage im TagesAnzeiger

Autor: Jörg Beckmann

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Ein Blick in die Zukunft der Mobilität beginnt am besten in der Vergangenheit. Damit man die künftigen Entwicklungen beurteilen kann, muss man die Entwicklungen der Vergangenheit verstanden haben. Die letzten rund 100 Jahre bestimmte das Automobil zu grossen Teilen unsere Verkehrsleistung und Alltagsmobilität. Es war Verkehrsmittel, Identifikationsmittel, Arbeitsmittel, Unterhaltungsmittel, Freizeitmittel und Beziehungsmittel. Ein Mittel für fast alle Zwecke, also nahezu ein Universalgerät. Kurz, das Auto prägte über mehr als 100 Jahre hinweg die gesellschaftliche Entwicklung in so prägnanter und vielfältiger Weise wie kaum eine andere Errungenschaft der Postmoderne. Die Bedeutung und Deutung des Autos befindet sich zurzeit in einem Wandel, der tiefgreifend ist.

Spätestens seit den 1950er Jahren war die Verkehrswelt in den Industrienationen eine zweigeteilte: auf der einen Seite die Autofahrer, auf der anderen Seite Nutzer des ÖV. Auf Strassen fuhr man selbst, auf Schienen liess man fahren, in den Parlamenten und an den Stammtischen war man entweder gegen oder für das Auto. Diese paradigmatische Verkehrswelt befindet sich derzeit im Wandel. So wie sich heute Technik und Nutzungsmuster von Velos, Autos, Bahnen und Bussen verändern, so wandeln sich auch die Akteure des Verkehrssektor: Aus Automobilproduzenten werden Mobilitätsanbieter, ÖV-Unternehmen verlassen die Schienen und engagieren sich im Car-, Ride- und Bike-Sharing und aus dem frühen Veloclub und späteren Autoclub TCS ist nun ein Mobilitätsclub geworden, der allen Schweizer:innen mit Rat und Schutz in ihrer Alltagsmobilität zur Seite steht - egal, womit sie unterwegs sind.

Die Mobilität befindet sich mit dem Einzug der Elektromobilität und der Digitalisierung in einem disruptiven Wandel.

Drei Transformationspfade in Richtung einer neuen Mobilität


Seit den frühen 2010er Jahren zeichnen sich die Entwicklungslinien dieses umfassenden Wandels im Verkehrssektor immer deutlicher ab. Die Transformationspfade der «Neuen Mobilität» lassen sich dabei anhand drei grosser «Ds» - der Dekarbonisierung, der Deprivatisierung und der Demotorisierung - am besten beschreiben. Die Dekarbonisierung nicht nur des Verkehrssektors, sondern der gesamten globalen Wirtschaft, stellt wohl eine der grössten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen für die kommenden Jahrzehnte dar. Im Landverkehr hat insbesondere ein grosser Technologiesprung in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass wir aktuell aus der Abhängigkeit gegenüber fossilen Antrieben ausbrechen und mit der Elektromobilität einen grossen Schritt in Richtung der «Netto Null» im Strassenverkehr gehen.

Denn der Elektroantrieb ist gegenüber dem Verbrenner mehrfach energieeffizienter und verspricht bereits heute eine deutlich bessere Gesamtumweltbilanz. Mit der zunehmenden Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energien wird sich dieser Effekt noch prägnanter zeigen. Der (Wieder-)Einzug des Elektromotors ins Automobil war, ist und wird auch künftig einer der grossen Türöffner für die Transformation der Mobilität sein, egal ob der Strom für seinen Betrieb aus dem Stromnetz oder einer Brennstoffzelle im Fahrzeug kommt. Die Elektromobilität ist daher die zentrale antriebsseitige Grundvoraussetzung für eine entkarbonisierte Erneuerung des Strassenverkehrs.

Auch darüber hinaus wird die Elektrifizierung unser alltägliches Leben derart grundlegend verändern, wie wir es uns heute erst vorstellen können. So werden z.B. Mobilität und Wohnen mit dem Elektroauto zusammengeführt. Der Strom fliesst dann von der Solaranlage auf dem Dach über den stationären Energiespeicher in der Garage in die Batterie des Autos. Hier braucht es neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen, damit diese komplexe Integration klappt. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Heimladestationen des TCS, welche er auch gleich installiert und wartet.
Um ohne Scheuklappen in die Zukunft der Mobilität schauen zu können, gründete der TCS vor 13 Jahren die Mobilitätsakademie. Diese erkannte die Wichtigkeit der Elektromobilität sehr rasch und konnte als Think-Do-Tank im Bereich der Elektromobilität vieles ausprobieren und entwickeln.

Parallel zur Elektromobilität löst auch der grosse digitale Wandel unserer Gesellschaft weitere Veränderungen im Verkehrssektor aus, die in den kommenden Jahren an Strahlkraft und Geschwindigkeit noch deutlich zulegen werde. Ihren Niederschlag finden diese Dynamiken insbesondere in der Deprivatisierung individueller Mobilitätswerkzeuge im Kontext der sogenannten Share Economy. Dank Smartphones und dem «Internet ofThings» (loT) wird das Teilen von Fahrten und Fahrzeugen über Mobilitätsplattformen und «Shared Mobility Apps» immer leichter und günstiger und schafft alltagstaugliche Alternativen zu Kauf und Besitz eines in aller Regel untergenutzten privaten Fahrzeugs. Mitgetrieben werden diese Angebote massgeblich von den neuen Geschäftsmodellen einer globalen Internetökonomie, die in immer kürzeren Zyklen neue Mobilitätsdienste quasi über Nacht auf die Strassen bringt - sie aber teilweise auch ebenso schnell wieder einkassiert.

Der dritte grosse Transformationspfad, auf dem wir uns heute in die Zukunft der Mobilität bewegen, wird heute von vielen Städten vorangetrieben. Es handelt sich dabei um die Demotorisierung des urbanen Verkehrs. Die Städte wollen dabei dem Fuss- und Veloverkehr mehr Raum bieten und den Einsatz sogenannter «fahrzeugähnlicher Geräte» wie z.B. E-Trottinette ermöglichen. Für den Individualverkehr bleibt folglich immer weniger Platz und Verkehrskapazität. Auf diesen drei Transformationspfaden werden wir uns im Verkehrssektor auch in den kommenden Jahren weiter fortbewegen und versuchen müssen, die Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken, die sich mit ihnen ergeben, so zu nutzen, dass am Ende ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiger Schuh (bzw. ein Trotti, ein Velo, ein Bus oder ein Auto) daraus wird.

Mobilität für morgen

Schreiben wir also die aktuellen Entwicklungen und heutigen Transformationsphänomene. bis ca.' 2030 fort, könnte sich die Mobilitätswelt der Schweiz wie folgt darstellen: In den Städten ersetzen Miet-, Sharing- und Abomodelle zunehmend den privaten Autobesitz und sind Teil digitaler Mobilitätsplattformen, auf denen die Nutzer und Nutzerinnen alles, was sie bewegt zu jeder Zeit mieten können - von E-Trottis, über E-Velos, E-Cargobikes und E-Scooter, bis hin zu E-Kleinwagen, E-Campervans und E-Camions. Mit ihrer vollständigen Elektrifizierung und Digitalisierung wird die urbane Mobilität zum smarten Bindeglied zwischen Verkehr- und Stromsektor, reduziert die Klimafolgen des Verkehrs, befreit die Stadt vom grossen Raumanspruch des ruhenden Verkehrs und schafft neue Flächen für die aktive Mobilität, die ihrerseits zum Garant für die Attraktivität und Lebbarkeit der Stadt von morgen wird.

Die Veränderungen angesichts der genannten Transformationspfade werden jedoch nicht nur den urbanen Verkehr stark verändern, sondern in hohem Masse auch den ländlichen. So zum Beispiel mit E-Autos, welche an der heimischen Ladestation geladen werden können und nicht mehr ausschliesslich auf einen Tank- bzw. Ladestelle stelle angewiesen sind oder mit «Coworking Spaces» in kleineren Gemeinden, die den Pendlerverkehr reduzieren und Wertschöpfung im Ort halten. Vieles deutet darauf hin, dass sich der vermeintliche Attraktivitätsverlust des Landes gegenüber den boomenden Städten auch in der neuen Verkehrswelt in Grenzen hält oder sogar umkehrt. Verkehrsinnovationen, wie Car-Pooling Angebote, On-Demand-Shuttles, schnelle E-Bikes auf Velobahnen und irgendwann selbstfahrende Autos und gar Lufttaxis werden ländliche Gebiete so gut erschliessen, dass diese nicht weniger zentral und attraktiv als Städte erscheinen. Genau wie seinerzeit das klassische Automobil, bringen diese neuen elektrischen und digitalen Mobilitätsformen in Zukunft die peripheren Gebiete näher ans Zentrum. Und dies sicher mit zugleich positiven, aber auch mit negativen Folgen und Begleiterscheinungen.

Jörg Beckmann

Denn auch für die Zukunft des Verkehrs gilt, was bisher für alle Zukunftsvisionen galt: Indem sie bestehende Probleme lösen, werden sie auch neue schaffen.


Im Bild: Jörg Beckmann, Direktor der Mobilitätsakademie

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