AV/EV - Über die Wahlverwandtschaft zwischen Elektrifizierung und Automatisierung

Dr. Jörg Beckmann, Mobilitätsakademie Bern, Oktober 2016

Ausgelöst durch den Ein- und heute absehbaren Siegeszug des elektrischen Antriebsstrangs, vollziehen die grossen Industrienation gegenwärtig eine „Autowende“, die in ihrer Tragweite mit den kolossalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zu vergleichen sind, die bisher nur der traditionellen Automobilisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts zugeschreiben wurden. Dieser Wandel ruht auf einer Wahlverwandtschaft zwischen der Dekarbonisierung des Verkehrs qua seiner Elektrifizierung einerseits und einer Deprivatisierung des Automobils qua Automatisierung andererseits.

In ähnlicher Weise wie das klassische verbrennungsmotorisch angetriebene und persönlich gesteuerte Automobil in Privatbesitz unsere Mobilität, Städte und Alltagskultur vor gut 100 Jahren zu verändern begann, werden in den kommenden Jahrzehnten elektrisch angetriebene, vollautomatische Fahrzeuge aus der Hand teils öffentlicher, teils privater Fahrdienstanbieter ein neues Mobilitätszeitalter einläuten. Erneut wird vom Automobil ein umfassender gesellschaftlicher Wandel ausgehen, der vielleicht anders als die Massenautomobilisierung Mitte des 20. Jahrhunderts bessere Chancen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Modernisierung bietet. Damit diese „Heilsversprechen“ einer elektrischen und automatisierten Alltagsmobilität auch in der Schweiz gehalten werden können, braucht es hierzulande eine breite gesellschaftliche Debatte über die Grundsätze dieser neuen Automobilität, die sowohl dem Ressourcen- bzw. Klimaschutz gerecht wird und unsere Städte und Dörfer lebbarer macht, als auch der Prosperität der Schweizer Volkswirtschaft dient.

Ziel einer solchen Debatte muss es sein, einen gesellschaftlichen Konsens über die Prinzipien dieser anstehenden Autowende zu erarbeiten. Sie muss auf der grundlegenden Erkenntnis aufbauen, dass erst durch seine Elektrifizierung das Automobil zum Dreh- und Angelpunkt einer nachhaltigen Verkehrswende werden kann – während es zuvor als verbrennungsmotorisches Fahrzeug aufgrund seiner schlechteren Gesamtumweltbilanz aus dem sogenannten Umweltverbund ausgeschlossen war und kaum als Treiber einer solchen Verkehrswende hätte einstehen können.

Während mit der Elektrifizierung also die notwendige antriebstechnische Voraussetzung für einen nachhaltigen Wandel der motorisierten Mobilität bereits geschaffen wurde, wird nun mit der Automatisierung des Automobils und der kommenden Inverkehrssetzung selbstfahrender Fahrzeuge (SFF) die hinreichende Voraussetzung erbracht: sorgt der emissionsfreie Elektroantrieb in einem ersten Schritt für einen Quantensprung bei der Energieeffizienz, so liefert des öffentliche vollautomatische Auto im zweiten Schritt massiv Zuwächse bei der Nutzungseffizienz, indem deutlich weniger selbstfahrende Fahrzeuge dank optimierter Auslastung die gleiche Verkehrsleistung wie die bisherige Flotte herkömmlicher Privatwagen erbringen – ohne einen ähnlich hohen Flächenbedarf im rollenden und ruhenden Verkehr und ohne die Freiheit und Autonomie seiner Nutzer gegenüber einem traditionellen Auto in Privatbesitz einzuschränken.Ohne die Elektrifizierung des automobilen Antriebsstrangs, wäre die Automatisierung des klassischen MIV bestenfalls eine Verschlimmbesserung der bestehenden ressourcenintensiven und klimaschädlichen verbrennungsmotorischen Automobilität – aber keinesfalls der neue Hoffnungsträger eines neuen nachhaltigen Mobilitätsparadigmas. Kurzum, nur als EV hat das AV eine Chance (verdient)!

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